Schamanismus, Schamanik oder Schamanische Therapie?

Im Bereich der Schamanischen Heilarbeit spricht man oft vom „Schamanismus“ als großen Oberbegriff für alles, was in diesem Bereich existiert. Von den ethnografischen Beschreibungen der rituellen Praktiken einiger sibirischer Volksgruppen über ein breites Spektrum verschiedener Erscheinungen der „New-Age“-Szene bis hin zu Auftritten von Jim Morrison reichen die Beispiele, die mit dem Begriffsfeld des „Schamanismus“ im weitesten Sinn in Verbindung gebracht worden sind. Für Höhlenmalereien in den französischen Alpen über verschieden dokumentierte rituelle Praktiken vorchristlicher Gesellschaften bis hin zu verschiedensten aktuellen Heilertätigkeiten auf der ganzen Welt wird dieser Begriff inzwischen stark inflationär gebraucht. Die hieraus entstehende offensichtliche Schwierigkeit ist jene, dass durch die Anwendung eines Begriffes auf immer mehr Praktiken, Erscheinungen oder kulturelle Ausprägungen eine immer unschärfere Begriffsbedeutung geschaffen wird, die stets mehr Raum für Interpretation, Auslegung und Stigmatisierung liefert. Gefahr der Stigmatisierung deshalb, da es allein in Deutschland große Unterschiede zwischen den verschiedenen „schamanisch aktiven“ Menschen gibt. Es gibt ein großes Spektrum zwischen zum einen denjenigen, die vielleicht ein Buch gelesen oder einen Wochenend-Kurs besucht haben und mit gewissen Grundlagenkenntnissen in selbst-heilender, künstlerischer oder alltagsgestaltender Form schamanisch aktiv sind. Auf der anderen Seite dieses Spektrums gibt es jene, die mit einer fundierten Ausbildung, und entsprechender praktischer Erfahrung unter ständiger Weiterbildung ein schamanisches Quasi-Therapie-Angebot und/oder ein tiefgehendes schamanisch-kulturelles Angebot für sich und andere ermöglichen und anbieten.

 

Aufgrund der Mannigfaltigkeit der Ausprägungen unterschiedlicher schamanischer Praktiken innerhalb dieses Spektrums allein in Deutschland, ist es offensichtlich, dass der Begriff „Schamanismus“ diesem Komplex in seiner Gesamtheit nicht mehr gerecht werden kann, wenn er es überhaupt jemals konnte. Bereits Laszlo Vajda sprach im ethnologischen Kontext bereits davon stets besser von „Schamanismen“ zu sprechen, da die globale Ausprägung dieses Phänomens nicht unter einen Begriff untergebracht werden kann.

 

Zunächst ist die Absicht dieses Textes nicht, den kühnen Versuch zu unternehmen, den Begriff des „Schamanen“ und des aus ihm resultierenden „Schamanismus“ ein weiteres Mal zu definieren und einzugrenzen. Dies ist an anderer Stelle bereits oft genug gut und auch weniger gut gelungen. Stattdessen gilt dieser Text der Überlegung einer weiteren begrifflichen Differenzierung, um das Praxisfeld des im deutschsprachigen Raum entstandenen „Schamanischen Heilers“ besser fassen und abgrenzen zu können.

 

Um zumindest dem Adjektiv „schamanisch“ in diesem Text zunächst eine Bedeutung zu geben, beschränken wir uns auf alle Praktiken, die auf der Arbeit in oder mit der „nichtalltäglichen Wirklichkeit“ in einem „veränderten Bewusstseinszustand“ basieren. Jene Technik des „veränderten Bewusstseinszustandes“ wird nach M. Harners Beschreibung i.d.R. mit monotonen Trommelrhythmen erreicht.

 

 

Schamanik

 

Eine Möglichkeit der begrifflichen Diffenrenzierung besteht darin, neben einem „Schamanismus“ oder sogar „Schamanismen“ von einem Fachgebiet der „Schamanik“ zu sprechen. Neben den oben angeführten Schwierigkeiten des Begriffes „Schamanismus“, beinhaltet das deutsche Suffix „-ismus“ eine bestimmte Konnotation, mit welcher zumeist Glaubenssysteme, Ideologien, Weltanschauungen oder geistige Strömungen bezeichnet werden. (Nationalismus, Kommunismus, Rassismus, Liberalismus, Katholizismus, Expressionismus, etc...) Ferner können „-ismen“ dogmatische oder radikale bzw. gedanklich unumstößliche Tendenzen haben.

 

Natürlich gibt es Ausprägungen innerhalb des Gebietes des Schamanismus, welche die Anforderungen eines Glaubenssystems erfüllen können (vgl. Animismus, Spiritismus), jedoch sind diese Anforderungen nicht notwendigerweise dieselben, welche die Schamanische Heilarbeit im Sinne dieses Textes prägen.

 

 

Die Schamanische Heilarbeit, wie sie in Deutschland und vielen anderen Ländern bereits vermittelt, gelehrt und praktiziert wird, beschreibt ein erlernbares System mit unterschiedlichen Methoden und Techniken, welche dazu dienen, Gesundheit unter einem seelisch-geistigen Blickwinkel zu erhalten und zu fördern.

 

 

Dieses System setzt keinen Glauben oder Weltanschauung voraus und kann - auch für Menschen mit größter Skepsis diesem Thema gegenüber - erfahrbar gemacht werden. Es setzt ebensowenig eine glaubens- oder überzeugungstechnische Ungebundenheit oder Unvoreingenommenheit voraus. Der Zugang zur seelisch-geistigen Ebene eines jeden Menschen, stellt immer eine individuelle Auseinandersetzung mit seiner eigenen Weltsicht bzw. der Weltsicht des Gegenübers dar. Daher hat das System der Schamanischen Heilarbeit keine Inhalte, welche mit glaubenstechnischen, weltanschaulichen oder religiösen Überzeugungen per se in Konflikt geraten könnten. Vielmehr sind es u.a. Methoden, einen tieferen oder erweiterten Zugang zur eigenen Welt und Weltsicht zu ermöglichen.

 

Da es sich hierbei also nicht um ein Glaubenssystem sondern um ein Fachgebiet mit Techniken, Methoden und entsprechender Professionalität handelt, ist es möglich diesen Teilbereich (des weiten Feldes des Schamanismus) konkret als Schamanik zu bezeichnen.

 

 

Schamanische Therapie

 

Vor dem nun beschriebenen Hintergrund, gibt es ebenso die Möglichkeit einen Begriff der „Schamanischen Therapie“ zu erwägen. Das Wort Therapie (griech. Therapeia „Dienst, Pflege, Heilung) bezeichnet zunächst alle Maßnahmen, welche darauf abzielen, Behinderung, Krankheit und Verletzungen positiv zu beeinflussen.

 

Der Begriff der Schamanischen Therapie kann daher einen Teilbereich der Schamanik beschreiben, da hier der Fokus auf der Veränderung bzw. Verbesserung eines oder mehrerer Zustände liegt, bzw. im Vordergrund ein gewisser Leidensdruck steht. Komplementär dazu ergibt sich dann der Teilbereich der Schamanischen Prophylaxe, bei dem der Fokus auf dem Erhalten eines Gesundheitszustandes unter seinem seelisch-geistigen Blickwinkel liegt.

 

 

Fazit

 

Abschließend ist festzuhalten, dass es sich bei dem nun beschriebenen Fachgebiet der Schamanik um einen Teilbereich des Geistigen Heilens handelt, welcher in Deutschland mit dem Urteil -1 BvR 784/03- des Bundesverfassungsgerichtes vom 2. März 2004 eingegrenzt und gleichzeitig beschrieben wurde.

 

Die begriffliche Aufschlüsselung unterschiedlicher Möglichkeiten der Bezeichnung Schamanischer Heilarbeit soll zunächst dazu dienen, der Komplexität dieses Themas unter dem möglicherweise zu groß gewordenen Begriffes des „Schamanismus“ entsprechenden Raum zu geben.

 

Philip Lipsky März 2018